Samstag, 31. August 2019

Die Mehrzahl der Einwohner Paraguays (ca. 90%) sind europäisch-indigener Abstammung, stammen also überwiegend von spanischen Kolonisten und den Ureinwohnern des Kontinents ab. Es ist also nicht überraschend, dass hier hauptsächlich Spanisch gesprochen wird und die meisten Einwohner der katholischen Kirche angehören.

Es gibt aber – neben den Nachfahren der deutschsprachigen Einwanderer – auch ca. 1,7% indigene Einwohner, also Nachfahren der 17 Stämme, die heute hauptsächlich im Chaco leben. Wir hatten die Gelegenheit, ein Dorf der Nivacle in der Nähe von Filadelfia zu besuchen.

Eine noch ziemlich neue Niederlassung der ASCIM

Unsere erste Station war eine Niederlassung der ASCIM, der Assoziation zur Zusammenarbeit zwischen Indigenen und Mennoniten. Ein solches Zentrum dient als Anlaufstelle für die in der Region lebenden indigenen Menschen, berät und unterstützt landwirtschaftliche Projekte, bietet Dienste im Sozial- und Gesundheitsbereich an und organisiert Bildungsprojekte.

Quelle: http::/ascim.org

Übrigens: Die Ureinwohner des Kontinents werden auch häufig als Indianer oder Indios (spanisch) bezeichnet. Manche nennen sich auch selbst so. Das Wort Indio kann aber auch als Diskriminierung verstanden werden, daher bleibe ich bei dem neutraleren „indigen“.

Direkt neben dem ASCIM-Gebäude befindet sich ein Hospital, das über die wichtigsten Angebote zur Gesundheitsversorgung und Aufklärung der Bevölkerung verfügt. Es wird von einer Geschäftsführerin und zwei Ärzten geleitet.

Am Eingang des Sanatoriums

Eine sehr wichtige Aufgabe bilden die „Gesundheitsberater“, die zum Teil auch über die sprachlichen Kenntnisse für eine Beurteilung der Gesundheit der ambulanten Patienten oder für Beratungsgespräche verfügen und durchaus Erstbehandlungen durchführen können.

Sprechzimmer eines „Patienten- bzw. Gesundheitsberaters
Hier werden die Kleinsten gewogen.

Nach der Führung durch das Krankenhaus brachen wir zur nächsten Station auf, einem Besuch eines Dorfes der Nivacles, wo wir den indigenen Samuel treffen wollten. Wir fuhren eine ganze Weile auf den Sandpisten durch die Ansiedlungen, weil es keinerlei Wegweiser, Strassenbezeichnungen oder Hausnummern gibt.

Fussball ist auch bei den Navicles jeden Alters sehr beliebt.

Und jeden Einheimischen, den wir nach dem Weg fragten, zeigte uns eine andere Richtung („das dritte Haus rechts …“). Schließlich aber fanden wir unser Ziel.

Ein Grundstück mit Hütte.

Für unsere westeuropäischen Augen sind die Grundstücke und Häuser der Indigenen mehr als gewöhnungsbedürftig. Der Staat hat zwar eine große Zahl von Steinhäuschen gebaut, die scheinen aber den Bedürfnissen ihrer Einwohner nicht zu entsprechen. Im Inneren werden Feuerstellen eingerichtet – was sehr gefährlich werden kann und die Fensteröffnungen sind praktisch überall durch Planen oder ähnlichem verschlossen, weil es eine große Angst vor Geistern gibt, die durch diese Fenster kommen können.

Samuel vor seiner Hütte.

Samuel hat eine ganz besondere Geschichte. Er wurde von seiner Familie als Kleinkind verstoßen und ausgesetzt und von Deutschen großgezogen. Mit 12 Jahren aber wollte seine Familie ihn wieder zurück und bekam ihn schließlich auch. Samuel ist somit einer der wenigen Indigenen, die einmal Deutsch gelernt haben – zumindest versteht er uns und wir ihn ein wenig. Er hatte auch regelmäßig Kontakt zur ASCIM-Station und ist daher kein Unbekannter. Jetzt dürfte er etwas über 80 Jahre sein und ist gebrechlich geworden. Er erzählt von seinem kranken Knie und lässt uns auch für ihn beten.

Samuel zeigt uns ein Buch, in dem seine Geschichte beschrieben ist.

Samuel lebt mit seiner Tochter, einer Enkeltochter und deren kleinen Sohn zusammen, hat aber – als Ältester – eine eigene, sehr provisorische Hütte, in die wir auch einmal hinein durften.

Samuel und seine Familie

Nicht mehr bei der Familie zu wohnen, bedeutet, sagt man uns, sich auf den Tod vorbereiten. In manchen Fällen werden alte Menschen auch einfach ausgesetzt, hören wir.

Das ist nicht der Vorgarten, sondern eigentlich das Wohnzimmer der Familie.

Wir sind wirklich fassungslos, wie man unter diesen sehr ärmlichen und letztlich auch ungeschützten Bedingungen überhaupt überleben kann. Hoffentlich bringt die Arbeit der ASCIM und vergleichbarer Organisationen das bald ein gutes Stück voran. Allerdings setzt es auch die Mitwirkung der Indigenen voraus. Und deren Leben ist auch voller Widersprüche.

Widersprüche: Wie heruntergekommen die Hütten auch sein mögen – ein recht ordentliches Motorrad steht praktisch immer davor.

Man berichtet uns, dass Indigene von Tag zu Tag leben und nicht für die Zukunft sorgen. Sie sind sehr gemeinschaftsorientiert, bleiben aber selten kontinuierlich an einer Arbeitsstelle. Gibt es Lohn, wird erst wieder von diesem gelebt, bis er aufgebraucht ist.

Der Jüngste in Samuels Familie. Wie mag seine Zukunft aussehen?

Mich beschleicht der Gedanke, dass wir, die wir meist nur leben um zu arbeiten, von der Lebensart der Indigenen auch etwas lernen könnten. Aber ein Blick auf die Lebensumstände von Samuel und seiner Familie lässt diese Vorstellung auch gleich wieder verschwinden.